Gedanken zum Internationalen Frauentag
- jovankaruoss
- 8. März 2021
- 2 Min. Lesezeit
Am heutigen Frauentag frage ich mich, ob meine eigene Biographie ein Verrat an der Frauenrechtsbewegung ist. Mein aktuelles Leben entspricht kaum dem Bild einer emanzipierten Frau. Vor über einem Jahr habe ich mich entschieden, meinen sicheren und gutbezahlten Job in der internationalen Zusammenarbeit aufzugeben, ins Kleinwalsertal zu ziehen und den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Eine Selbständigkeit allerdings, die zumindest zur Zeit auf der finanziellen Abhängigkeit von Johannes ruht.
Johannes sieht das anders. Seiner Ansicht nach haben wir gemeinsam ein Familienzeitbudget und ein Familieneinkommen. Momentan steuert er mehr zum Familieneinkommen bei, während ich mehr Zeit ins Familienzeitbudget gebe. Das Wichtigste für ihn ist, dass es uns als Familie gut geht.
An guten Tagen gefällt mir Johannes Perspektive sehr gut. An guten Tagen bin ich dankbar, dass ich viel Zeit mit meinen Kindern verbringen und mich dem messy little elephant widmen kann. An schlechten Tagen frage ich mich, ob diese Ansicht nicht eine romantische Mogelpackung ist: die traditionelle Rollenverteilung nett verpackt.
Doch dann die Frage, was denn eigentlich Emanzipation ist. Gemäss Duden steht Emanzipation für die Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit; Selbständigkeit; Gleichstellung sowie für gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung (der Frau mit dem Mann). Für Johannes stellt meine Selbständigkeit keinen Zustand der Abhängigkeit dar. In seinen Augen bin ich eine emanzipierte Frau. Und wenn ich es mir recht überlege, stimme ich ihm zu.
Als ich meinen Job beim SECO hatte, fühlte ich mich gefangen. Johannes und ich arbeiteten viel, unsere Kinder wurden an vier Tagen in der Woche fremdbetreut, ich sah sie an vier Tagen nur abends, am Ende des Monats sassen wir maximal auf einer schwarzen Null. Nicht mehr, und auch nicht weniger. Bei meinem Weggang hat mich meine damalige Chefin dafür gelobt, dass ich der Beweis sei, dass Beruf und Familie sogar mit drei Kindern vereinbar sei. Aber dieses Lob entspricht nicht meiner Wahrheit. Unser Familienleben hat darunter gelitten, die Kinder haben mich vermisst. Und ich habe sie vermisst.
Und da sind wir bei der gesellschaftlichen und rechtlichen Gleichstellung von Frau und Mann angelangt. Ich spüre Wut. Wut, dass gesellschaftliche Gleichberechtigung auch im Jahr 2021 ein Traum bleibt. Nach wie vor verdienen Frauen weniger als Männer, werden Frauen Anfang 30 bei Jobinterviews subtil oder auch weniger subtil nach ihren Familienplänen gefragt. Bleibt Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf primär eine Herausforderung für die Frauen.
Ich spüre Wut, dass wir in Zürich für die Betreuung unserer drei Kinder so viel bezahlen mussten, dass das Äquivalent meines Lohns praktisch eins zu eins in die Kinderbetreuung ging. Ich spüre Wut, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz (und auch in vielen anderen Ländern) das Modell des Alleinverdieners/der Alleinverdienerin favorisieren. Ich bin wütend, dass sich in der aktuellen Krise die Ungleichheit zwischen Frau und Mann nicht vermindert, sondern sogar noch zugespitzt hat – Frauen übernehmen überproportional sowohl die Hausarbeit, die Kinderbetreuung und das Homeschooling.
Auf den ersten Blick lebe ich ein sehr unemanzipiertes Leben. Allerdings ein Leben, für das ich mich selbst entschieden habe. An der Seite eines Mannes, der mich als gleichwertig anerkennt. Der mich schätzt und mich unterstützt. Und das ist doch immerhin ein Anfang.
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