top of page
Suche

Erwartungen an eine Mutter

  • Autorenbild: jovankaruoss
    jovankaruoss
  • 6. Juli 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Dies ist das Logo der Hackermoms, bei denen ich immer noch virtuelles Mitglied bin.

Seit meinem Beitrag zum Internationalen Frauentag beschäftigt mich die Frage, welchen Erwartungen ich als Mutter eigentlich gerecht werden will/muss. In erster Linie sind das natürlich meine eigenen Erwartungen an mich selbst als Mutter. Doch diese Erwartungen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern werden durch viele Menschen beeinflusst. Zum einen durch mein unmittelbares Umfeld, zum anderen durch “die” Gesellschaft als Ganzes. Und diese beiden Einflussgrössen beeinflussen sich auch gegenseitig.

Das kürzlich gefällte Bundesgerichtsurteil, welches die Unterhaltszahlung nach einer Scheidung neu regelt, formuliert die aktuelle Erwartung an Mütter klar: Bei einer Scheidung muss die Mutter prinzipiell finanziell für sich selbst aufkommen. Im Sinne der Gleichberechtigung unterstütze ich dieses Urteil. Allerdings lässt es mich sprachlos zurück. Weil der Weg zur tatsächlichen Gleichberechtigung in der Schweiz und auch vielen anderen Ländern noch sehr lang, steil und steinig ist!

Das Steuermodell und die familienexternen Betreuungskosten begünstigen kein Familienmodell, in welchem beide Partner gleichberechtigt im Arbeitsprozess bleiben. Arbeiten beide Eheleute weiterhin in ihrem Job zu 80 bis 100 Prozent und lassen ihre Kinder in Krippe und Hort betreuen, geht die Rechnung spätestens bei drei Kindern nicht mehr wirklich auf. Die Kosten für die externe Betreuung der Kinder und die Steuerprogression schluckt das zusätzliche Einkommen im Nu weg. Klar kann man argumentieren, dass dafür beide Eheleute im Arbeitsprozess bleiben und bei einer allfälligen Scheidung auch beide weiterhin finanziell für sich selbst sorgen können. Die Scheidung sollte dann aber zu einem Zeitpunkt erfolgen, in welchem die Kinder bereits in einem Alter sind, in welchem sie nicht mehr viel externe Betreuung benötigen.

Lässt sich eine Familie scheiden, wenn das jüngste Kind grad eingeschult wird, dann muss gemäss dem fortschrittlichen Urteil der Elternteil, welcher die Kinder grundsätzlich betreut, mindestens 50 Prozent arbeiten gehen. Also ab dem ersten Kindergartenjahr ist dieser Elternteil verpflichtet, halbtags zu arbeiten. Liebe Richter in Lausanne, da habe ich eine rein logistische Frage. Der Kindergarten in Zürich startet um 8.15 Uhr und endet um 11.55 Uhr. Bei einer durchschnittlichen Arbeitswoche von 42 Stunden ergibt das eine Arbeitszeit von vier Stunden und zwölf Minuten pro Vormittag für den hauptsächlich betreuenden Elternteil. Das geht bereits ohne Arbeitsweg nicht auf! Oder ist die Erwartung, dass man mit dem 50 Prozent Gehalt noch die benötigte externe Betreuung berappt? Oder kommt der nicht hauptsächlich betreuende Elternteil am Morgen jeweils um 7.00 Uhr und übernimmt die Kinder bis zum Schulstart?

Mal abgesehen von der logistischen Machbarkeit dieser “modernen” Erwartung an geschiedene Mütter (ja, es gibt auch Väter, aber in der Regel sind es Mütter!) gibt es leider auch sonst noch einige Hürden für die Mütter, die sich unvermittelt wieder auf dem Arbeitsmarkt anpreisen. Das interdisziplinäre, zeitaufwändige und anspruchsvolle Zertifikat “Projektleiterin Familie” wird auf dem Arbeitsmarkt nur bei ganz wenigen sehr fortschrittlichen Arbeitgebern anerkannt. Eine weitere Schwierigkeit liegt am Angebot von Teilzeitstellen, gerade für Akademikerinnen mit der erwähnten Weiterbildung inklusive Zertifikat. Eine 50 Prozentstelle finden, die auch noch den eigenen Qualifikationen entspricht, ist alles andere als einfach. Ich habe jahrelang beim SECO gearbeitet und durfte nach der Mutterschaft im gleichen Team 60 Prozent weiter arbeiten. Als dieses Team politisch bedingt verkleinert werden musste, hatte ich nicht wirklich eine andere Wahl als mehr zu arbeiten, sofern ich nach wie vor einer spannenden Tätigkeit nachgehen wollte. Und so arbeitete ich als dreifache Mutter 80 Prozent und Johannes 100 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir tatsächlich eine beinahe gleichberechtigte Partnerschaft, was unsere Teilnahme am Arbeitsleben anbelangte. Doch diese gleichberechtigte Teilnahme am Arbeitsleben hatte einen Preis. Und dieser Preis wird vom Gerichtsurteil nicht berücksichtigt.

Unsere Kinder waren vier Tage in der Woche fremdbetreut. Sie hatten eine liebe Nanny und besuchten Hort und Krippe. Es ging ihnen nicht schlecht. Aber sie haben uns vermisst. Sie wollten mehr Zeit mit ihren Eltern verbringen. Und auch ich wollte mehr Zeit mit ihnen verbringen. Als Paar haben wir uns entschieden, dass ich aus dem formalen Arbeitsleben ausscheide und mehr Zeit für die Familie aufwenden werde. Diese Entscheidung haben wir als gleichberechtigte Partner getroffen. Und vor diesem Gerichtsurteil wäre ich bei einer allfälligen Scheidung grösstenteils vor negativen Folgen aus dieser gemeinsamen Entscheidung geschützt worden (die Altersvorsorge lassen wir der Einfachheit halber mal aussen vor). Sollten Johannes und ich uns trennen, müsste ich fortan meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Mein Engagement für die Familie während dieser Jahre würde nicht berücksichtigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach längerer Abwesenheit vom formalen Arbeitsmarkt eine Teilzeitstelle finden würde, die meinen Qualifikationen entspräche und die auch finanziell interessant wäre, schätze ich als nicht sehr hoch ein. Ist dies fair, wenn ich mich nach einer Scheidung finanziell einschränken müsste, während Johannes dies vermutlich nicht oder nicht im selben Umfang tun müsste?

Der springende Punkt ist meines Erachtens die fehlende Wertschätzung der Arbeit als Mutter. Das Gerichtsurteil widerspiegelt dabei die gesellschaftliche Haltung. Nur wer produktiv ist und messbare Leistung erbringt, ist auch was wert. Die Arbeit als Mutter ist nicht produktiv. Sisyphus ist ein treuer Begleiter einer jeden Mutter! Die gesellschaftliche Erwartung an uns alle ist aber Leistung! Und so ist es nur folgerichtig, dass auch Mütter sich nicht länger dieser Erwartung entziehen dürfen. Kaum aus dem Wochenbett geht es zurück an die Arbeit. Die Babys dürfen in die Krippe und werden dort von qualifizierten Fachpersonen betreut. In der Regel sind dies Frauen. In der Regel werden sie nicht gut bezahlt. Weil Kinder hüten in der Regel eben nicht produktiv ist.

PS: Johannes und ich haben nicht vor, uns scheiden zu lassen. Johannes kennt Sisyphus auch. Er mag ihn auch nicht. In Österreich ginge es mir bei einer Scheidung vermutlich auch nicht besser, ausser ich könnte nachweisen, dass Johannes die alleinige Schuld am Scheitern unserer Ehe tragen würde. Dieses Bild über das Funktionieren einer Ehe bräuchte wohl auch eine Revision. Vielleicht können unsere Lausanner Richter ja helfen.

 
 
 

Kommentare


  • Facebook
  • Twitter
  • LinkedIn
  • Instagram

Klares Denken
Klares Schreiben

+43 (0) 676 783 97 47 

jovanka.ruoss@gmail.com

Impressum     Datenschutz     AGB

© 2023 Klares Denken, klares Schreiben

Kontakt

Fragen Sie drauflos 

Danke für die Nachricht!

bottom of page