Ein Jahr Distanz
- jovankaruoss
- 5. Mai 2021
- 2 Min. Lesezeit

Ein Jahr Distanz. Ein Jahr Ausnahmezustand. Ein Jahr Gratwanderung. Abtasten. Balance finden. Distanz wahren. Verschiedene Perspektiven einnehmen. Sich in Geduld üben. Mit Unsicherheiten umgehen. Ängste wahrnehmen, ernst nehmen.
Das letzte Jahr war anstrengend. Von einem Tag auf den anderen wurde unser Leben auf den Kopf gestellt. Im letzten Frühling war die Situation hoffnungsvoll. Es gab eine Welle der Solidarität, Gruppen haben sich gebildet, um Risikogruppen zu unterstützen, für sie die Einkäufe zu machen. Gruppen haben sich gebildet, um gemeinsam die Kinderbetreuung zu organisieren. Aber diese Solidarität war zerbrechlich. Schon bald wollten die Risikogruppen wieder selbst raus und einkaufen gehen, Kindergruppen haben sich nicht so gut verstanden wie erhofft und wurden wieder aufgelöst. Oder man wurde nicht mehr in Gruppen gelassen, weil sich der Kreis bereits geschlossen hatte und man nicht zum inneren sozialen Zirkel zählte. Diese Solidarität gründete auf sehr viel Ausgrenzung. Die Mitmenschen waren eine potentielle Gefahr. Doch im letzten Frühling war es einfacher, über diese negativen Folgen hinwegzusehen. Der Lockdown war kurz, das Wetter gut und das Ende absehbar.
Viel schwieriger war die Situation im Herbst. Die Tage wurden dunkler, es wurde kälter. Die Massnahmen wieder strenger. Und irgendwie war klar, dass diese Welle wohl nicht so schnell vorbeigehen würde wie im Frühling. Für mich begann eine Gratwanderung. Mit ein wenig Kreativität liessen die Massnahmen viel Interpretationsspielraum zu. Schwieriger war das Abtasten bei Freunden und Bekannten. Wo sind deren Grenzen? Wieviel Kontakt ist noch erwünscht? Geht ein ungezwungenes Treffen draussen noch? Das ständige Abtasten war kräftezehrend. Und zur physischen Distanz gesellte sich nach und nach persönliche Distanz. In gewissen Freundeskreisen wurde Corona zum Reizthema. Man wollte nicht mehr darüber reden. Corona wurde zum unsichtbaren Elefant im Raum, der noch mehr Distanz geschafft hat.
Werden wir wieder zueinander finden? Was macht dieses Jahr Distanz mit unseren Freundschaften? Ich habe Angst, dass dieses Jahr der Distanz einige Freundschaften nachhaltig beschädigt hat. Die Unbeschwertheit ist verloren gegangen. Die Vorfreude auf künftige Treffen oder Ferien muss nach wie vor vorsichtig dosiert werden, man weiss ja nie, ob es klappt.
Seit fast drei Wochen bin ich geimpft. Ich hoffe, dass mit diesem Pieks bald wieder Normalität und Ruhe einkehren werden. Dass ich mich wieder auf gemeinsame Treffen und Ferien freuen kann. Und dass die Risse in Freundschaften nur oberflächliche Kratzer sind, die bald wieder heilen. Und ja, falls in Zukunft die Leute nach wie vor etwas mehr Abstand beim Anstehen an der Kasse wahren, fände ich das einen super Nebeneffekt aus dieser Krise!
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