Die Kraft der Bilder
- jovankaruoss
- 16. März 2022
- 2 Min. Lesezeit
Am Samstagabend, als Johannes bereits im Bett war und ich keine Lust hatte, mich aufzuraffen und die Zähne zu putzen, bin ich auf dem Sofa liegengeblieben und habe mich durch diverse soziale Medien und Nachrichtenseiten gescrollt. Eine schlechte Angewohnheit.
In der Nacht auf Sonntag wurde Lviv attakiert. Die Explosionen waren bis Polen spürbar. Schockstarre. Weiterscrollen. 12 Raken wurden auf nordirakische Stadt Erbil abefeuert. Stein im Bauch. Weiterscrollen. Nächste Nachrichtenseite. Erste Schlagzweile: “Wegen dieser Elite-Hacker könnte aus dem Ukraine-Krieg ein dritter Weltkrieg werden”. Ich kann es nicht lesen. Der Stein in meinem Magen wird immer grösser und schwerer.
Ich poste meine Gedanken auf Facebook. Lösche sie wieder, weil ich befürchte, dass diese Gedanken zu schwer für diese Plattform sind. Ich gehe ins Bett. Bin froh um das leise, gleichmässige Schnarchen neben mir. Wache am Sonntagmorgen auf. Schaue auf mein Handy und habe eine Nachricht auf meine mittlerweile wieder gelöschten Gedanken erhalten. Ein früherer Kletterkollege bedankt sich dafür, dass ich meine Gedanken öffentlich geteilt habe. Ihm haben die Worte gutgetan und gezeigt, dass er mit seiner Angst nicht alleine ist. Ich freue mich über die Nachricht.
Ja, ich habe Angst. An manchen Tagen ist diese Angst sehr präsent und begleitet mich durch den Tag. An diesen Tagen bin ich dankbar, dass ich weit weg vom Krieg bin, dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass meine Kinder abends hungrig schlafen gehen müssen. An anderen Tagen ist der Krieg auch gedanklich weit weg und ich ärgere mich über Kleinigkeiten und bin unzufrieden mit mir und der Welt.
Spätestens beim nächsten Blick auf eine Nachrichtenseite überkommt mich das schlechte Gewissen. Wie kann ich mit meiner Situation unzufrieden sein, während in der Ukraine Spitäler bombardiert werden? Wenn Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht sind? Wenn die Welt auf einen dritten Weltkrieg zusteuert?
Weiterscrollen. Beiträge auf sozialen Medien anschauen. Schauen, was andere Leute grad so rumtreibt. Ein Schmunzeln geht über mein Gesicht. Ein Freund postet eine Studie, bei welcher den Studienteilnehmenden Kunstwerke gezeigt wurden, die gemeinhin als “schön” gelten. Während die Studienteilnehmenden die Kunstwerke betrachteten, wurden die Hirnströme gemessen. Dabei haben die Autoren rausgefunden, dass während des Betrachtens der Kunstwerke die Bereiche des Hirns, die mit Vergnügen und Freude assoziiert sind, aktiver werden.
Als Beispiel wurde den Studienteilnehmenden die Geburt der Venus von Botticelli gezeigt. Aus urheberrechtlichen Gründen hat besagter Freund auf ein Foto dieses Gemäldes verzichtet. Stattdessen hat er das Bild selbst gezeichnet. Diese Venus hat mir definitiv ein Schmunzeln aufs Gesicht gezaubert. Ich hoffe, euch auch. Ich nehme dafür auch in Kauf, dass er mich verklagt (bitte nicht, Andreas 😉).
Die aktuelle Situation ist traurig. Meine trüben Gedanken habe ich nach Erhalt der Nachricht meines früheren Kletterkollegen wieder geteilt und hoffe, dass sie weiteren Menschen helfen mögen. Ich bin jedenfalls sehr dankbar für die kleine Venus, die mich für eine kurze Weile aus meinem Sumpf geholt hat.
Comments