Bis dass der Tod euch scheidet!
- jovankaruoss
- 4. Mai 2022
- 3 Min. Lesezeit
Letzte Woche habe ich nichts Böses ahnend ein wenig online Zeitungen gelesen. Da bin ich über den Artikel “Für Hausfrauen wird es ungemütlich” gestolpert. Die Richter in Lausanne haben wieder mal ein Urteil in einem Scheidungsfall gefällt. Mit diesem Urteil haben die Richter uns Frauen klar zu verstehen gegeben, dass wir gefälligst im Arbeitsleben bleiben sollen. Bei einer Scheidung müssen wir in Zukunft selbst für unseren eigenen Unterhalt aufkommen. Fertig lustig mit lebensprägender Ehe und so.
Im konkreten Scheidungsfall ging es offensichtlich um eine gut situierte Familie. Über 15’000 Franken hätte der Mann seiner Ex-Frau monatlich für Unterhalt und Wohnkosten überweisen müssen (Unterhalt für das Kind nicht eingerechnet). Und das nach gerade mal drei Jahren Ehe und einem gemeinsamen Kind. Da kann ich schon verstehen, dass der Mann diese Regelung angefochten hat. Zumal die Frau nach der Geburt zuerst weitergearbeitet und erst aufgehört hat, als klar wurde, dass eine Scheidung ins Haus steht. Basierend auf der Annahme, dass dank Kind die kurze Ehe lebensprägend gewesen sei und sie gemäss geltender Rechtsprechung nicht hätte arbeiten müssen.
Schade ist, dass wegen diesem absurden Einzelfall die Schraube nun für alle angezogen wird. Und dass es vor allem Frauen betrifft. Richtig stossend ist, dass wie schon bei den letzten wegweisenden Urteilen im Familienrecht wieder die gleichen fünf Richter in Lausanne diese Schraube angezogen haben. Wieso wird bei der Zusammensetzung der einzelnen Abteilungen am Bundesgericht eigentlich nicht geschaut, dass Frauen und Männer vertreten sind?
Allerdings wäre es auch nicht sicher, dass Frauen im Richtergremium zu einem anderen Urteil gekommen wären. Und eigentlich geht es gar nicht so sehr um dieses Urteil. Soweit meine rudimentären juristischen Fähigkeiten ausreichen, ändert dieses Urteil für viele Frauen nicht so wahnsinnig viel. Es bedeutet viel mehr, dass die unteren Gerichte künftig den Einzelfall prüfen müssen und nicht mehr generell eine Regel für alle gilt. Dies ist ein bedeutender Unterschied, der in den Medien vernachlässigt wird.
Mich stört vor allem, dass die Schweiz in Sachen Gleichberechtigung nach wie vor hinterherhinkt. Das höchste Gericht sendet ein Signal an die Frauen, dass sie auch nach Familiengründung möglichst im formalen Arbeitsleben drin bleiben sollen, damit sie im Falle einer Scheidung weiterhin für sich selbst sorgen können. Die politischen Gegebenheiten senden allerdings ein ganz anderes Signal.
Das politische Signal haben Johannes und ich sehr gut verstanden. Als wir beide gearbeitet haben (180 Prozent gemeinsam), hatten wir monatliche Kinderbetreuungskosten von 5’000 Franken! Von diesen horrend hohen Betreuungskosten konnten wir nur einen Teil von den Steuern abziehen. Weil wir beide viel gearbeitet haben, durften wir die Steuerprogression in vollem Umfang erfahren. Die steuerlichen Anreize bevorzugen nach wie vor das traditionelle Familienmodell.
Als ich mit Alija schwanger war, haben Johannes und ich versucht, für uns eine gerechte Lösung im Falle einer Trennung zu finden. Wir haben uns den Kopf darüber zerbrochen, wie wir mit meiner Reduktion auf Teilzeit umgehen sollen. Uns war beiden klar, dass meine Pensenreduktion Auswirkungen auf meinen Karrierepfad und mein künftiges Einkommen haben wird. Für uns war drum auch klar, dass ich im Falle einer Trennung für diesen Karriereknick eine finanzielle Entschädigung erhalten sollte. Doch wie kann man die Höhe dieser Entschädigung festmachen? Wie hätte mein Karrierepfad ohne Kinder ausgesehen?
Ohne Kinder wäre meine berufliche Karriere mit Sicherheit anders verlaufen. Ich wäre nicht in der Situation, dass ich hoffen müsste, dass unsere Ehe und unsere mittlerweile traditionelle Rollenverteilung von einem Richter als lebensprägend eingestuft werden würde und Johannes mich weiterhin zumindest teilweise finanziell unterstützen müsste. Und drum ist es wohl am einfachsten, wenn wir uns an das traditionelle Eheversprechen halten: Bis dass der Tod euch scheidet.
Vielleicht war eigentlich das die Absicht der fünf Richter in Lausanne: “Lasst die Gerichte mit euren Eheschwierigkeiten in Ruhe und haltet euch an das Versprechen! Gott wird es dann richten.” Hallelujah! Alter Wein in neuen Schläuchen für alle Frauen, die finanziell von ihren Ehemännern abhängig sind: Scheiden können sich die finanziell Unabhängigen. Hmmm, irgendwie erinnert mich das an vergangene Zeiten.
Im Gegensatz zu den Medien hat die Frauenzentrale Bern vor einem Jahr einen sehr differenzierten Newsletter zu den kürzlich ergangenen wegweisenden Urteilen des Bundesgerichts verfasst.
Comments