Alle sollen gleich behandelt werden.
- jovankaruoss
- 17. Nov. 2022
- 2 Min. Lesezeit
Ich kann den Frust von Herrn Jositsch verstehen.
Mit 57 Jahren sieht er seine letzte Chance, Bundesrat zu werden. Er fühlt sich diskriminiert, weil seine Partei ein reines Frauenticket zur Wahl vorschlagen möchte. Beim künftigen Rücktritt vom welschen Alain Berset kann er sich nicht wählen lassen, weil er kein Westschweizer ist.
Die mögliche künftige Diskrimierung zugunsten der angemessenen Repräsentation der Sprachregion ist akzeptierbar.
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geht nicht.
Da stimme ich ihm zu.
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist wirklich ungerecht. Eine Ungerechtigkeit, die wir Frauen gut kennen. Wir können den Frust von Herrn Jositsch verstehen. Wir wissen, was es heisst, das falsche Geschlecht zu haben. Im Gegensatz zu Herrn Jositsch wird uns das aber oft nicht direkt gesagt, die Hinweise an uns sind meist subtil.
Und vielleicht gerade darum umso machtvoller.
Subtile Hinweise im Berufsleben
Wie oft entpuppen sich Bewerbungsgespräche für Frauen ab 30 als Dauerlauf mit subtil aufgestellten Hürden?
Ich erinnere mich an ein Vorstellungsgespräch mit Anfang 30, bei dem mir Fragen zur Familie gestellt wurden. Bewusst blauäugig und ausschweifend habe ich von meinen Geschwistern und meinen Eltern erzählt, wie und wo wir aufgewachsen sind, was meine Geschwister studiert haben und wo sie nun arbeiten. Das war wohl die falsche Antwort.
Die Stelle habe ich nicht bekommen.
Subtile Hinweise an Mütter
Ein Fuss im Arbeitsleben, ein Fuss zu Hause.
Die Rolle der Mutter hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. In meiner Schulzeit wurde von den Müttern primär erwartet, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten der Familie zurückstellen, sich um die Kinder und deren Förderung und gesunde Entwicklung kümmern. Heutzutage wird von den Müttern zusätzlich die Teilnahme am Arbeitsleben erwartet.
Die moderne Mutter stellt ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten der Familie zurück und trägt gleichzeitig teilzeitarbeitend zum Familieneinkommen bei.
Am Ende geht die Rechnung nicht auf.
Es ist klar, dass diese Doppelbelastung von Familie und Beruf ihren Preis hat. Zum einen führt diese Doppelbelastung bei vielen Frauen zu Erschöpfung. Zum Anderen führt die teilzeitliche Teilnahme am Arbeitsleben oft nicht zum gewünschten beruflichen Erfolg.
Ich erinnere mich an berufliche Weiterbildungen, die mir nicht gewährt wurden. Wohl aber meinen Kollegen.
Ich erinnere mich an Beförderungen von Kollegen, für die ich gar nicht erst in Betracht gezogen wurde.
Es ist nachvollziehbar, wieso mir die Weiterbildung nicht gewährt wurde. Bei einem Teilzeitpensum fallen Tage, die man wegen Weiterbildungen am Arbeitsplatz fehlt, stärker ins Gewicht als bei einem Vollzeitpensum. Über die Jahre machen sich die fehlenden Weiterbildungen und die geringere Arbeitszeit auch in der Qualifikation für eine Beförderung bemerkbar.
Gerne würde ich wie Herr Jositsch mit dem Fuss auf den Boden stampfen und wütend über diese Ungerechtigkeit sein. Unsere Bundesverfassung um Hilfe rufen. Nicht jede Ungleichbehandlung ist allerdings eine qualifizierte Diskriminierung im juristischen Sinne. Angemessene Massnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung stellen keine Diskriminierung dar.
Ein reines Frauenticket scheint mir eine angemessene, wenn auch für einzelne Bundesratsaspiranten schmerzende Massnahme.
Markus Theunert, Gesamtleiter von männer.ch, bringt es in seinem offenen Brief an Herrn Jositsch auf den Punkt:
Dass es schwierig und schmerzhaft ist, eigene Ambitionen im Dienst der Gleichstellung zurückzustellen, kann ich bestens verstehen. Doch genau das ist die Aufgabe unserer Generation. Indem wir lernen, auf Privilegien zu verzichten und mit den damit verbundenen Verlusten und Kränkungen einen guten Umgang zu finden, leisten wir die Gleichstellungsarbeit, die es jetzt braucht. Machen Sie mit.
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