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Suche

Zwischen Balancequeen und Supermom: Identitätssuche im Alltag

  • Autorenbild: jovankaruoss
    jovankaruoss
  • 7. Dez. 2023
  • 3 Min. Lesezeit


Seit zwei Wochen machen Johannes und ich gemeinsam einen online Coachingkurs.


Jeden Donnerstagabend setzen wir uns hin, schauen die Videos unseres Coaches an und hoffen, dass wir am Ende das Versprechen des Kurses einlösen können: Den Eintritt in den exklusiven 2 Prozent Club, den Aufstieg auf die höchste Stufe auf Maslows Bedürfnispyramide, die Stufe der Selbstverwirklichung. Die Stufe, in der wir unser Potential entfalten. Ich gebe mein Bestes. 


Drum spürt Johannes öfters meinen Ellbogen in seinen Rippen, wenn er mal wieder vor dem Bildschirm wegdöst. 


Zusätzlich zu den Videos müssen wir auch Hausaufgaben machen. Während die erste Übung noch einfach war, lässt mich die zweite Übung ein wenig verzweifeln: Wir sollen uns für den Bereich “Gesundheit”, “Arbeit” und “Soziales Umfeld” je eine “Identität” kreieren. Zu von uns definierten Zeitfenstern sollen wir uns diese Identitäten dann wie ein Kostüm an der Fasnacht umhängen und so handeln. 


Nach dem Frühstück bin ich nun die Balancequeen.


Im Zenkostüm gönne ich mir einen Spaziergang oder 10 Minuten Meditation, oder – wenn ich ganz motiviert bin – 30 Minuten Yoga. Sobald die Kinder aus der Schule und Betreuung kommen, mutiere ich zur Supermom und wenn Johannes aus seinem Büro schlurft, zur Superehefrau. 


Die Kostüme sitzen nicht perfekt und zwicken und kratzen da und dort ein wenig. 


Das ist nicht schlimm, meint unser gutgelaunter Coach in den Videos. Wir dürfen uns Zeit für den Aufstieg in den 2 Prozent Club nehmen. Sehr schön. Wenn da bloss nicht dieser Bereich wäre, für den ich nach wie vor kein passendes Kostüm habe. Zwischen Zenkostüm und Supermom- und Superehefrau fühle ich mich verloren.


Noch immer bin ich auf der Suche nach meiner beruflichen Identität, meiner beruflichen Heimat.

 

Diese Suche verunsichert mich. Ist es doch eine Suche, die mir seit meiner Kindheit vertraut ist. Bereits als kleines Mädchen wurde ich gefragt, was ich werden möchte, wenn ich gross bin. Als Dreijährige war meine Antwort “Serviertochter”, so hiess das damals noch, in den 80ern auf dem Land. Mit 19 habe ich diesen Berufswunsch tatsächlich einige Stunden in die Tat umgesetzt. In einem Restaurant gegenüber einem Bahnhof. Habe schnell gemerkt, dass ich nicht wirklich Talent dazu habe. 


Nicht wenige meiner Gäste haben wahlweise ihren Zug oder ihr Feierabendbier verpasst. 


Als ich in die Schule kam, formte sich mein nächster Berufswunsch. Nun wollte ich Lehrerin werden. Stundenlang spielte ich “Schüelerlis”, meine Puppen waren meine fleissigen Schüler, ich die perfekte Lehrerin. Seit diesem Sommer bin ich tatsächlich Lehrerin an einem Tag in der Woche. Nun sitzen keine Puppen mehr vor mir, sondern neugierige, manchmal etwas laute 2.Klässler. Meine kindliche Vorstellung von der perfekten Lehrerin ist gar nicht leicht in die Tat umzusetzen.  


Nach der Lehrerin war Flight Attendant mein nächster Berufswunsch.


Das war noch bevor ich dieses mulmige Gefühl über Transatlantikflügen im Magen spürte. Dieser Berufswunsch hat sich bis heute nicht in die Tat umgesetzt. Vielleicht auch besser so, man erinnere sich an mein Talent als “Serviertochter”. Ich glaube kaum, dass sich dieses Talent in einem schaukligen Flugzeug 10’000 Meter über dem offenen Meer plötzlich doch noch entfaltet hätte. Aber eigentlich wollte ich einfach reisen und fremde Länder und Kulturen kennenlernen.


Dazu muss man ja nicht unbedingt Flight Attendant werden.


Das Interesse für fremde Länder und Kulturen hat mich wohl zum Studium in Internationalen Beziehungen geführt und von da weiter in die Entwicklungszusammenarbeit. In den 10 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit durfte ich viele Länder bereisen, fremde Kulturen kennenlernen und spannende Projekte betreuen. 


Und nun suche ich wieder nach einer Antwort auf die Frage, was ich werden möchte.


Zumindest für die Tage, in denen ich nicht in der Schule bin. Als Kind hatte ich die Vorstellung, dass Erwachsene alles wissen. Dass sich mit dem Eintritt ins Erwachsenenleben alle Fragen klären und man auf alles eine Antwort hat. Dass man als Erwachsene weiss, wer “man” ist, welche Werte “man” hat, welchen Job “man” gerne macht. Leider stimmt diese kindliche Vorstellung nicht mit meiner Realität überein. 


Wie während der Pubertät bin ich wieder auf der Suche nach mir selbst. 


Wer bin ich? Was will ich? Fragen, auf die ich bereits vor 20 Jahren Antworten gesucht habe, tauchen wieder auf, wiederholen sich in einer gefühlten Endlosschleife. Gefestigt geglaubte Bilder von mir geraten ins Wanken, lassen mich ratlos zurück. Ich möchte ankommen. Ankommen in der Welt der Erwachsenen. 


Ankommen in der Welt der Antworten.


Nur existiert diese Welt irgendwie nicht. Aber vielleicht liegt die Antwort in der Erkenntnis, dass wir nie ankommen. Dass das Leben uns immer wieder auffordert, uns selbst neu zu finden und uns auf den nächsten Lebensabschnitt vorzubereiten. In der Mitte des Lebens haben wir bereits einige Kapitel unseres Lebens geschrieben; jetzt geht es darum, wie wir die restlichen Seiten unseres Lebens füllen möchten.


Es geht darum, einige Kapitel unseres Leben zu schliessen und sie loszulassen, uns bereit zu machen für eine neue Seite, ein neues Kapitel. 


Und vielleicht klappt dann sogar der Eintritt in den 2 Prozent Club ;-).

 
 
 

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