Was machst du denn beruflich? Die zuverlässigste Frage bei jeder gesellschaftlichen Zusammenkunft.
- jovankaruoss
- 26. Okt. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Am letzten Wochenende war ich auf einer Geburtstagsparty und auf einer Hochzeit.
Ich liebe Partys. Wenn ich in der richtigen Stimmung bin. Momentan bin ich grad nicht in der richtigen Stimmung. Ich mag grad nicht mit vielen Leuten reden, die ich kaum kenne. Besonders ungern beantworte ich zurzeit die zuverlässigste Smalltalk-Frage bei jedem gesellschaftlichen Ereignis: Was machst du denn beruflich?
Ich habe keine Ahnung, wie ich auf der Geburtstagsparty von dieser offensichtlichen Frage überrascht werden konnte.
Unschlüssig, was ich darauf antworten soll, habe ich etwas Unverständliches dahin gemurmelt. Die Fragezeichen im Gesicht meines Gegenübers wurden nicht kleiner. Also sagte ich, dass ich mich grad neu orientieren würde. Aber auch diese Antwort war nicht sehr überzeugend.
Den Rest des Abends verbrachte ich auf der Tanzfläche und genoss die laute Musik, die jede Unterhaltung unmöglich machte.
Auf der Suche nach Jobideen, die langwierige Diskussionen vermeiden
Am nächsten Morgen fuhren Johannes und ich zwei Stunden zur Hochzeit.
Ich mit Muskelkater von sechs Stunden tanzen, Johannes etwas verkatert vom Rosé. Mir war klar, dass ich an einer Hochzeit, bei der wir nur die Braut kannten, nicht um das “Was machst du denn beruflich” herum kommen würde.
Fest entschlossen, eine Antwort parat zu haben, haben wir während der Autofahrt ein Brainstorming zu möglichen Berufen veranstaltet:
Idee #1 – Ich arbeite im Finanzwesen: Wer will schon über Finanzen reden? Aber was ist, wenn die andere Person eine Buchhalterin ist?
Idee #2 – Ich arbeite in der Kinderbetreuung: mit drei Kindern ist das irgendwie wahr, aber jeder hat eine Meinung zur Kinderbetreuung, nicht ideal.
Idee #3 – Ich bin Astronautin: Das ist spannend… aber wahrscheinlich nicht sehr glaubwürdig.
Idee #4 – Ich arbeite als Bestatterin: Hmm, zu interessant, könnte zu viele Fragen aufwerfen.
Idee #5 – Persönliche Assistentin eines CEO: langweilig, könnte funktionieren!
Als Johannes merkte, dass ich es mit der imaginären Jobsuche durchaus ernst meinte, hatte er keine Lust mehr auf das Spiel. Game over.
Zählen Aktivitäten auch als Job, mit denen man wenig oder gar nichts verdient?
Oder stimmt es, dass “Job” eine Abkürzung für “just over broke”, also knapp über pleite ist?
Unsere Urahnen mussten sich keine Gedanken zu ihren Berufswünschen machen. Der Job war durch den Job des Vaters bestimmt. Es ging einzig und allein darum, die Familie über Wasser zu halten.
Also “just over broke” oder ein wenig mehr.
Heutzutage haben wir andere Ansprüche an einen Job, “just over broke” reicht den wenigsten. Idealerweise wollen wir einen sinnvollen Job, einen, in dem wir unsere Talente einsetzen können. Die Idealisten unter uns möchten auch noch zum Wohle der Menschheit beitragen.
Ich gehöre zu den Idealisten.
Mein Talent einsetzen und nebenbei Gutes für die Menschheit tun. Das möchte ich. Daher rührte wohl auch der Wunsch, in der Entwicklungszusammenarbeit tätig zu sein. Dort habe ich mein Talent für das Verfassen von Anträgen für viele Solaranlagen in Polen eingesetzt und mich mit verantwortungsvoll abgebautem Gold befasst. Bloss, irgendwie war das nicht so erfüllend, wie ich erwartet hatte.
Den Erfolg meiner Bemühungen konnte ich selten sehen und fassen.
Aber ich hatte eine Berufsbezeichnung. Programmverantwortliche. Manchmal hat mein Gegenüber interessiert nachgefragt, manchmal hat das Aussprechen dieser Jobbezeichnung mein Gegenüber in die Flucht geschlagen. Nun bin ich wieder auf der Suche nach einem sinnvollen Job, bei dem ich meine Talente einsetzen kann. Mit dem Alter bin ich bescheidener geworden.
Nicht mehr das Wohl der Menschheit ist das Ziel, sondern mittlerweile bin ich auch mit dem Wohl einiger weniger zufrieden.
Private Rückmeldungen auf einige meiner Beiträge machen mir Mut. Es scheint, dass meine Texte den einen oder anderen berühren und zur Reflektion anregen. Gefragt, was ich beruflich mache, habe ich auf der Hochzeit erzählt, dass ich Momprenuer bin. Mompreneur mit dem messy little elephant, von dem ich grad noch nicht sagen kann, wohin die Reise führt. Mompreneur mit Freude am Schreiben. Eine Reise, die erst grad begonnen hat.
Bon voyage.
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